Es könnte alles so schön einfach sein: Das Internetphänomen "Katze" ist deshalb so erfolgreich, weil Videos und Bilder mit den Samtpfoten schlichtweg süß sind und Spaß machen. Aus philosophischer Sicht könnte jedoch mehr dahinterstecken.
Internetphänomen: Mit Katzen im Web Gassi gehen
Perry Stein, Autor der US-amerikanischen Zeitung "The New Republic", ist der Sache auf den Grund gegangen. Er kommt zu dem Schluss, dass Katzen wegen biologischer und sozialer Faktoren zu Stars des Internets wurden. Demnach reagieren Menschen instinktiv auf das Kindchenschema, dem die meisten Katzen entsprechen. Das Kindchenschema bezeichnet ein Erscheinungsbild, das unter anderem durch ein rundes Gesicht, eine kleine Nase und große Augen auffällt – wie bei einem Baby.
Aus evolutionärer Sicht ist es für den Menschen sinnvoll, Fürsorge und Beschützerinstinkt zu empfinden, wenn er ein Lebewesen erblickt, das einem menschlichen Baby ähnelt. Es liegt uns also in den Genen, beim Anblick von Katzen und ihrer Niedlichkeit in Verzückung zu geraten.
Außerdem – so Stein – würden Katzenhalter das Internet als riesigen Park nutzen, um ihre Samtpfoten auszuführen. Schließlich müssten sie kompensieren, dass sie ihre eigenwilligen Haustiere normalerweise nicht wie Hunde Gassi führen können, um sich so mit Gleichgesinnten auszutauschen und soziale Kontakte zu knüpfen.
Wir feiern symbolisch unsere Unabhängigkeit
Jordan Shapiro vom "Forbes"-Magazin geht diese Erklärung allerdings noch nicht weit genug. Er lässt "süß" und "lustig" als Erklärung für Katzen als Internetphänomen hinter sich, und lässt auch die biologische und soziale Beweisführung nicht alleine gelten. Stattdessen erhebt er die Internetmiezen zu symbolischen Unabhängigkeitskämpfern im Netz.
Dafür begibt sich Shapiro gedanklich auf einen Schnelldurchlauf durch die Weltgeschichte, um den Wandel der symbolischen Bedeutung der Katze hervorzuheben: Seinen Anfang nahm der Katzenhype mit Bastet, der Göttin der Fruchtbarkeit bei den alten Ägyptern. Das Mittelalter hingegen führte Katzen in unsanfte Gefilde: Sie wurden als Symbol des Teufels wahrgenommen, ein Aberglaube, der viele Samtpfoten das Leben kostete.
Im Hier und Jetzt ende der symbolische Bedeutungswandel vorerst, so Shapiro: Die Katze als Internetstar steht mit ihrem eigenständigen Wesen symbolisch für die Unabhängigkeit, die das Internet seinen Usern ermöglicht.
Bedienen Internetkatzen unser Bedürfnis nach Voyeurismus?
Das New York Museum of the Moving Image (Museum des bewegten Bildes) hat den samtpfötigen Stars im Jahr 2015 sogar eine ganze Ausstellung gewidmet: "How Cats Took Over the Internet" ("Wie Katzen das Internet eroberten"). Der Kurator der Ausstellung, Jason Eppink, meint, das samtpfotige Internetphänomen habe auch etwas mit Voyeurismus zu tun. Katzen interagieren in der Regel nicht mit der Kamera beziehungsweise mit den Menschen dahinter. Sie machen einfach ihr Ding, und ob sie dabei gefilmt werden, ist ihnen egal.
Es besteht also eine Art Barriere zwischen den Katzen in den Internetvideos und uns als Publikum. Gleichzeitig werden wir aber auch nicht vollständig ausgeschlossen. Stattdessen interessiert es uns, was die Katze in dem Filmchen als Nächstes tut. Beim Voyeurismus ist es ähnlich: Das heimliche Beobachten von etwas, das unserem Blick nicht ausweichen kann, den Blick aber zugleich nicht zur Kenntnis nimmt, versetzt uns in eine privilegierte Position. Das gibt uns ein Gefühl von Macht, was mit Lustgewinn einhergeht. Im Falle von Katzenvideos kommt dabei jedoch niemand zu Schaden.
Katzen als Projektionsfläche für unsere eigenen Emotionen?
Der Biologieprofessor John Bradshaw sieht noch einen weiteren Grund, weshalb Katzen die unangefochtenen Internetstars sind, Hunde aber nicht. Er meint, dass Hunde ihre Gefühle viel offener zeigen als Katzen, sodass es dem Menschen nicht möglich ist, daran herumzudeuten (dass es so einfach nun auch wieder nicht ist, können Sie im Ratgeber "Hundeverhalten: Körpersprache verstehen" nachlesen). Katzen dagegen seien wie weiße Leinwände, ihre Mimik und Körpersprache für Menschen schwer zu interpretieren, so Bradshaw.
Infolgedessen interpretieren wir Menschen alles Mögliche in die Ausdrücke unserer Stubentiger hinein – meistens das, was wir uns wünschen. Das mache es einfacher, Katzen zu vermenschlichen, ist Bradshaws Schlussfolgerung. Es bleibe aber stets spannend, denn während Katzen in einem Moment etwas tun, mit dem wir uns identifizieren können, handeln sie im nächsten Moment wieder vollkommen eigenartig.
Den Grund dafür, dass es uns leichter falle, die Zeichen von Hunden zu deuten als die von Katzen, sieht Bradshaw in der Domestikationsgeschichte beider Haustierarten. Hunde wurden bereits vor rund 20.000 Jahren als treue Gefährten des Menschen gezüchtet. Katzen aber sind erst seit Kurzem Gesellschaftstiere des Menschen. Lange Zeit waren sie als unabhängige Schädlingsbekämpfer auf sich allein gestellt.
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